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Richtig Sparen: Warum unser Problem schon im Keller anfängt

19.02.2024

Für viele ist es schwer, mit dem Sparen anzufangen. Und den Vermögensaufbau dann auch durchzuhalten. Zahlreiche Forschungen zeigen: Wir müssen nicht nur die Produkte verstehen – sondern vor allem uns selbst

Im Jahr 1955 veröffentlichte der Amerikaner Robert Henry Stotz einen Aufsatz im „Review of Economic Studies“, und er gab an, über ein Problem zu schreiben „von dem ich glaube, dass es bisher nicht analysiert wurde“. Stotz war nach dem Krieg als Offizier kurze Zeit in Berlin gewesen und hatte dort die Aufgabe zu berechnen, wieviel Essen man nach Deutschland exportieren müsste, um die Deutschen zu ernähren. Später kehrte er in die USA zurück und studierte in Chicago Wirtschaft.

In den 50er Jahren reiste er als junger Doktor der Wirtschaftswissenschaften wieder durch Europa, durch die Niederlande, England und Schweden, und in jenen Jahren reifte in ihm die Idee, eine Theorie aufstellen, warum Menschen verschwenderisch oder sparsam sind – und ob wir unser Verhalten überhaupt steuern können.

Über seinen Aufsatz schrieb er ein Zitat aus Homers „Odyssee“, in dem Odysseus seine Kameraden bittet, ihn an den Mast zu binden, um den Gesang der Sirenen nicht zu erliegen. „Und wenn ich euch bitte, mich loszubinden, so verdoppelt die Stricke“

Das Zitat gab die Richtung von Robert Stotz‘ Theorie vor: „Der optimale Plan, den wir heute schmieden“, schrieb er, „ist einer, dem wir nicht folgen.“ Entweder wir werden gedankenlos und verschwenderisch – oder wir schmieden unsere Pläne so, dass wir unsere Schwäche und den Ungehorsam bereits einkalkulieren. Also müsste man einfach den besten Plan schmieden, dem man auch wirklich folgen kann. Eine Erkenntnis, die elementar für das Thema Sparen und Geldanlage ist.

Ob Sport oder Sparbuch – wann fangen Sie an?

Über Jahrzehnte haben sich Wirtschaftswissenschaftler immer wieder den Kopf zerbrochen, warum wir Dinge auf die lange Bank schieben oder unsere Pläne über den Haufen werfen. 1968 etwa schrieb der Ökonom Robert A. Pollack einen Aufsatz mit dem Titel „Konsequentes Planen“, 1999 erschien die Studie „Doing it now or later“ , in dem die Autoren Ted O'Donoghue and Matthew Rabin eine interessante Frage stellen.

Übertragen geht sie so: Stellen Sie sich vor, Sie müssen etwas machen, worauf Sie keine Lust haben, zum Beispiel den Keller aufräumen. Es ist der 1. September, und Sie können das Ganze am 1. Oktober innerhalb von sieben Stunden machen – oder am 15. Oktober, also zwei Wochen später, innerhalb von acht Stunden. Jeder würde sagen: Klar, ich wähle den 1. Oktober und die sieben Stunden. Nun stellen Sie sich vor, es ist der 1. Oktober – und Sie haben die gleiche Wahl, sieben Stunden heute oder acht Stunden in zwei Wochen. Was tun Sie? Sehr viele Menschen wählen die acht Stunden in zwei Wochen. Denn wir verschieben das Aufräumen oder andere unangenehme Tätigkeiten wie Steuererklärung oder Abnehmen. Warum aber ist das so?

Die meisten Forschungen kommen zu dem Ergebnis, dass unser Leben immer neue Optionen bietet. Die Frage „Soll ich wirklich aufräumen?“ kreuzt sich etwa mit der Frage „Oder soll ich lieber die neue Staffel von ,Games of Thrones‘ zu Ende schauen ..?

Was hat das mit Geld und Sparbüchern zu tun? Beim Sparen ist es wie mit dem Aufräumen: Wir fangen ungern an. Und wir werfen unsere Pläne schnell über den Haufen.

Der Programmfehler in unserem Gehirn

„Aufschieberitis“ ist ein höchst menschliches Phänomen. Sie ist sozusagen ein Programmfehler in unserem Gehirn, zu dem wir alle neigen. Und wir erliegen ihr immer dann, wenn es darum geht, in einer komplizierten Angelegenheit eine Entscheidung zu treffen, die unser Leben nicht unmittelbar verändert. Das gilt besonders für Lebensversicherungen oder die Altersvorsorge. Bis man 70 Jahre alt ist, ist ja noch lange hin! Selbst wenn wir uns fest vorgenommen haben, diese Frage endlich zu lösen, vertagen wir sie, sobald etwas dazwischenkommt – wenn etwa ein Freund oder eine Freundin fragt, ob wir nicht eine Woche mit nach Mallorca kommen wollen.

Wären wir völlig rationale Wesen, würden wir die langfristige Entscheidung („Ich muss für die Zukunft sparen“) mit der kurzfristigen abgleichen („Ich bin so urlaubsreif“) und würden dann feststellen: Im Alter jeden Monat mehr Geld auf dem Konto zu haben, würde sich für uns dauerhaft stärker auszahlen als eine Woche Extraurlaub, die wir jetzt verbraten.

Es geht allerdings beides: Man sollte bloß nicht anfangen auf Urlaube zu verzichten und alles für Alter horten. Es gibt einen Mittelweg. Es ist ja so: Wir würden gerne so vorausschauend sein, können es aber nicht. Woran liegt das? Auch das können Forscher erklären: Der Mensch verfügt nur über eine mangelhafte Fähigkeit, sich die Zukunft vorzustellen. Und weil wir uns die Zukunft so schlecht vorstellen können, können wir auch heute noch nicht wirklich ermessen, wie sich 100 Euro mehr im Monat anfühlen würden, wenn wir einmal 70 Jahre alt sind. Das Phänomen nennen Verhaltensökonomien „hyperbolische Diskontierung“, oder auch das Spatz-in-der-Hand-Paradox.

Sind Sie Satisfizierer oder Maximierer?

Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Wie anfällig bin ich für „Aufschieberitis“, sei es nun beim Thema Sparen, Sport oder Gesundheit? Mit einer einfachen Frage kann man das herausfinden:

Wie lange suchen Sie auf Netflix nach einer neuen Serie? Oder: Wie kaufen Sie im Supermarkt ein? Suchen Sie stets nach der besten Wahl? Vergleichen Sie lange? Oder reicht es Ihnen häufig, wenn die neue Serie gut genug ist? Dann gehören Sie zur Gruppe der so genannten Satisfizierer. Sie ziehen meist nur bestimmte Daten für die Entscheidung heran, fallen Entscheidungen schneller und neigen weniger zum Aufschieben. Sie bereuen die schnelle Wahl meist nicht, sind eher optimistisch und zufrieden.

Wenn Sie dagegen jemand sind, der stets nach dem Besten sucht; der immer noch mehr Informationen braucht – dann gehören Sie zu der Gruppe der Maximierer. Solche Menschen sind anfälliger für Perfektionismus, und sie fühlen sich deshalb oft unsicher und gestresst. Sie sind die, die schon bald nach Abschluss einer Versicherung drei weitere Vergleiche gelesen haben und sicher sind: Ich habe die falsche abgeschlossen! Kein Aktienfonds wird ihnen auch nach ein paar Monaten noch gut genug sein. Und beim Hauskauf wird es dann erst recht problematisch.

Nun gibt es aber vor allem für die Maximierer Tricks, wie man sich selber davon abhalten kann, zum Daueraufschieber zu werden. Dazu gibt es ein schönes Experiment von dem bekannten amerikanischen Verhaltensökonomen Dan Ariely:

Drei seiner Studentenklassen sollten jeweils drei Seminararbeiten im Laufe eines Semesters abgeben. Die erste Gruppe konnte frei wählen, wann sie die Arbeiten abgab. Die zweite Gruppe musste die Abgabetermine am Semesterbeginn festlegen und der Professor sagte: „Für jeden Tag, den ihr später abgebt, bekommt ihr einen Punktabzug.“ Und die dritte Gruppe bekam ganz einfach drei fixe Abgabetermine vom Professor genannt. Welche Gruppe schnitt wohl am besten ab? Und zwar nicht nur bei der Pünktlichkeit, sondern auch in der Qualität ihrer Arbeiten?

Beim Sparen hilft nur Druck von außen

Es war tatsächlich die dritte Gruppe mit den harten Vorgaben, die am besten abschnitt. Am zweitbesten war die zweite Gruppe mit den selbstgesetzten Terminen. Und was war mit denjenigen, die alles frei wählen konnten und nichts zu befürchten hatten? In dieser ersten Gruppe schrieben viele Studenten alle drei Arbeiten gleichzeitig auf den letzten Drücker am Semesterende. Und das wird jedem von uns bekannt vorkommen, wenn er ehrlich ist.

Dan Ariely folgert daraus: Das beste Mittel gegen das Aufschieben ist Druck von außen. So wie es das Zitat aus der Odyssee über dem Aufsatz von Robert Stotz es ausdrückt.

Aber wer soll uns diesen Druck beim Sparen machen? Wenn wir nicht unbedingt ein Haus abzahlen – und die Bank uns deswegen im Nacken sitzt – haben wir diesen Druck nicht. Was aber genauso gut hilft ist – das haben wir gerade von der selbstbestimmten Studentengruppe zwei gelernt: Wir müssen uns nur zuvor auf ein Vorgehen und Regeln festlegen. Dann fällt es uns auch viel leichter, es einzuhalten.

Das lässt sich leicht aufs Sparen anwenden, zum Beispiel so: Die meisten von uns bekommen regelmäßig ein Gehalt ausgezahlt. Meist warten wir bis zum Monatsende, wie viel Geld übrigbleibt – und dann ist oft keines mehr da. Der Trick, mit dem wir uns selbst austricksen, ist simpel: Man überweist immer schon am Monatsanfang gleich am Gehaltseingangstag einen Teil automatisch auf ein Sparkonto. Einfach per Dauerauftrag. Dann ist es weg. Die Lehre aus diesen ganzen Forschungen und Studien ist denn auch bestechend einfach: Wir müssen nicht nur das Produkt kennen, sondern uns selbst.

Artikel von Nadine Oberhuber und Horst von Buttlar, erschienen 2021 im Capital.

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